Indische Kultur – Eine unorganisierte Harmonie
In diesem Artikel spricht Sadhguru über die Widersprüche, die der indischen Lebensweise innewohnen: totales Chaos an der Oberfläche, doch darunter tiefe Harmonie
Das Schöne an unserer Kultur ist, dass sie unorganisiert ist. Aber wenn man in dieser Unordnung keine Harmonie vorfindet, dann nehmen ein disharmonischer Geist, ein disharmonischer Körper und disharmonische gesellschaftliche Umstände einem Menschen alle Möglichkeiten. Nehmen wir an, du kommst plötzlich in deine Küche und alles ist durcheinander, du weißt nicht, wo etwas ist. Es mag einen Tag lang Spaß machen, alles zu suchen, aber wenn es jeden Tag passiert und wenn man es unter einem gewissen Zeitdruck tun muss, nimmt es in einem viele Möglichkeiten weg. Allein der Versuch, den morgendlichen Kaffee zuzubereiten, wird zu einer Vollzeitbeschäftigung. Das ist die Situation, die wir in diesem Land geschaffen haben. Einfache Dinge zu tun, ist für intelligente Menschen, die viel mehr tun könnten, zu einer Vollzeitbeschäftigung geworden. In kleinen Gemeinschaften, in bestimmten Unternehmen, Industrien und Geschäftszweigen organisieren sich die Menschen auf kleine Weise und in kleinen Einheiten. Aber diese Organisation kommt auf eine sehr westliche Art daher, was wiederum extrem belastend für den Menschen ist.
Westliche Organisation bedeutet, dass alles so organisiert ist. Dann wird alles wie eine Maschine ablaufen – alles wird passieren, aber es wird kein Leben stattfinden. Es ist sehr einfach, eine harte und schnelle Regelung aufzustellen: „Tu einfach das.“ Alles sieht organisiert aus, aber wenn dann kein Leben stattfindet, haben die Menschen ein großes Verlangen danach, die Regel zu brechen. Das ist, was im Westen geschieht. Ohne Grund strebt ein ganzer Teil der Bevölkerung danach, die Regeln, die gut funktionieren, irgendwie zu brechen, einfach weil sich das Leben durch den ganzen Prozess der Organisation eingeschränkt fühlt.
Die spirituellen Wege in Indien lebten völlig unorganisiert, weil sie nicht wollten, dass irgendetwas unterdrückt wird. Im Moment haben wir nicht genug Platz im Land, um zu unorganisiert zu sein. Wenn es nur eine Person pro Quadratkilometer gäbe, könnte man sich wie verrückt aufführen. Aber wenn es so viele Menschen gibt, spielt es eine Rolle, wie man jeden Schritt platziert. Bei der Bevölkerung und dem Raum, der uns zur Verfügung steht, glaube ich, dass ein wenig mehr Organisation das Leben viel gesünder machen würde, als es jetzt ist, denn wenn man zu viel Leben zulässt, werden die Dinge zusammenbrechen. Dieses Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, genug Freiheit zuzulassen, damit sich das Leben frei entfalten kann, aber dennoch so organisiert zu sein, dass man das grundlegende menschliche Potenzial in einem selbst nicht vergeudet, war schon immer die Essenz meines Fokus, wenn es um Menschen und Aktivitäten geht. Yoga als eine Wissenschaft und eine Übung ist so beschaffen, dass Menschen, die dies in ihr Leben bringen, eine innere Organisation aufrechterhalten können, selbst wenn die äußeren Umstände völlig verrückt spielen.