Zwei Wege um das dritte Auge zu öffnen

Sadhguru: Der wichtigste Aspekt von Shiva ist, dass er sein drittes Auge geöffnet hat. Er tat viele andere Dinge – er tanzte, er meditierte, er heiratete zweimal. Das ist alles schön und gut, aber nur weil er sein drittes Auge geöffnet hat, erinnern wir uns heute noch an ihn. Nach Tausenden von Jahren verneigen wir uns immer noch vor ihm, weil es keinen Ersatz für Wissen gibt. Zu wissen bedeutet, frei zu sein. Und es gibt keine Möglichkeit zu wissen, wenn die eigene Wahrnehmung nicht über ihre derzeitigen Grenzen hinaus erweitert wird. 

Shiva ist bedeutsam, weil er wahrnahm, was die meisten Menschen nicht wahrnehmen konnten. Was für einen Großteil der Menschheit ungesehen ist, wurde zu einem normalen Teil seiner Wahrnehmung. Das ist, was das dritte Auge bedeutet. Man sagt, als Shiva sein drittes Auge öffnete, kam Feuer aus ihm heraus. Dieses Feuer zeigt auf, dass er in seinem Inneren alles verbrannte, von dem er dachte, dass es ihm wichtig war. In seinem Inneren wurde er zu einem Brennofen, der alles verbrannte, was verbrannt werden kann. Und dann kam aus jeder Pore seines Körpers, anstatt Schweiß und Blut, Asche heraus. Das soll bedeuten, dass er jedes Fünkchen Unwissenheit verbrannt hat – alles, was man glaubt, wahr zu sein. Sobald dies getan war, konnte ihm die Öffnung des dritten Auges nicht verwehrt werden.

Die beiden Wege

Es gibt zwei Wege, das dritte Auge zu öffnen. Ein Weg ist, dass das Innere zu einem totalen Vakuum geworden ist, so dass die Türe hineingesaugt wird und sich ganz natürlich öffnen muss. Die Tür wird schlaff und fällt nach innen, weil nichts da ist. Shiva hat nicht nur seine Gedanken, seine Emotionen, seine Beziehungen und seinen Besitz verbrannt – er hat sein eigenes Wesen verbrannt. Es herrscht ein totales Vakuum. So fiel die Tür nach innen und öffnete sich.

Ein anderer Weg, das dritte Auge zu öffnen, ist, dass du alles in dir behältst. Du findest keinen Ausdruck für deine Gedanken, Emotionen oder irgendetwas anderes. Du könntest nicht einmal ein Wort aussprechen. Du wirst sehen, wenn du vier Tage lang schweigsam bleibst, wirst du dich am fünften Tag plötzlich danach fühlen zu singen. Wenn du nicht weißt, wie man singt, wirst du aufheulen wollen, weil du es rauslassen willst. Aber wenn du nichts rauslässt, wird sich so viel Druck aufbauen, dass die Tür von innen aufgestoßen wird. Das ist ein anderer Weg.

Der Mittelweg

Wenn du jedoch diplomatisch bist, wenn du an den Mittelweg glaubst, bedeutet das, dass du nirgendwo hingehen willst. Menschen, die an den Mittelweg glauben, sind entschlossen, in ihrem Leben nirgendwo hinzukommen. Der Mittelweg ist nur deine Komfortzone, weder dies noch das. Es bedeutet, dass du ein Vollzeit-Bullshitter bist. Es spielt keine Rolle, wohin du gehst, du machst deine eigenen Sachen – das ist der Mittelweg. Der Mittelweg ist eine Art, nirgendwo hinzukommen, und nach einiger Zeit zu denken, dass es nirgendwo hinführt.

Angenommen, du gehst auf der Straße spazieren und du stößt auf einen großen Stein. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, ihn zu umgehen. In der einen Richtung knurrt ein Tiger. In der anderen Richtung brennt ein Feuer. Wenn du denkst, dass der Mittelweg der beste Weg ist, und gegen den Felsen läufst, wirst du nur eine Zeit lang gut trainieren. Du kommst nirgendwo hin.

Also, entweder wirst du leer und die schiere Kraft des Vakuums wird es öffnen, oder du baust einen Druck in dir auf und es wird aufbrechen – das sind die beiden Wege. Der erste Weg ist die bessere Option, denn wenn du die Tür durch Druckaufbau öffnest, kann sie sich heute öffnen und morgen wieder schließen. Oder bevor sich genug Druck aufbaut, kann etwas anderes in dir ausflippen und du könntest weglaufen. Es ist eine große Qual, keinen einzigen Gedanken oder keine einzige Emotion zum Ausdruck kommen zu lassen, kein einziges Wort auszusprechen, keinen Ausdruck für eine einzige Meinung oder Idee zu finden, die dir in den Sinn kommt. Das kann dich zum Platzen bringen! Aber wenn du alles intakt hältst, wird sich das dritte Auge öffnen.