Träume und Karma
In diesem Artikel über Karma befasst sich Sadhguru damit, wie in unserem Leben für gewöhnlich ein Auflösen ebenso wie ein Ansammeln von Karma stattfindet
Ist Leben nun gänzlich ein Ansammeln durch Handlungen, Träumen gänzlich eine Auflösung derselben? Nein. Das Leben ist eine Mischung aus Ansammlung und Auflösung. Je unbewusster du bist, desto mehr vollzieht sich die Auflösung. Wenn du teilweise bewusst wirst, wirst du letzten Endes durch dein Tun in höherem Maße ansammeln. Wenn du vollständig bewusst wirst, dann wird die Auflösung sehr schnell vonstatten gehen, das Ansammeln wird vollständig zurückgehalten. Eine teilbewusste Stufe bewirkt immer mehr Ansammlung als Auflösung. Zum Beispiel macht ein einfacher Bauer schlichtweg sein Karma ungeschehen. Er erwirbt nicht zu viele Dinge. Er steht morgens auf, pflügt sein Land, kümmert sich um seine Tiere, erledigt einfache Dinge, die er zu tun hat, und das war's. Er macht keinen Plan und denkt nicht daran, wie er die Welt erobern kann. Sein Leben ist also weitgehend ein Auflösen durch Nicht-tun. Es ist nicht so, dass er überhaupt nichts tut, aber sein Ansammeln ist so viel weniger als sein Auflösen, weil die Art seines Lebens nicht allzu viel Ansammeln erlaubt; es ist meistens ein Auflösen, aber wenn man erst einmal gebildet ist, wird das Ansammeln und das Auflösen ziemlich gut vermischt, man ist in der Lage, das Auflösen und das Ansammeln gleichzeitig zu tun.
Die Rolle der Schulbildung
Auf einer Ebene arbeiten sich deine Gedanken und Gefühle in unbewusster Weise aus. Auf einer anderen Ebene hast du Absichten zu erfüllen. Das passiert den Menschen die ganze Zeit. Ich will nicht alles auf die Erziehung schieben, aber im Allgemeinen ist die Art der Erziehung, die du erhältst, der Grund dafür – sie baut starke Absichten in dir auf. Die heutige Erziehung ist kein Prozess des Wissens, sie ist kein Prozess des Erkennens, sie ist kein Prozess der Entwicklung deines Körpers oder deines Verstandes zu ihrer vollen Leistungsfähigkeit. Sie baut sehr starke Wünsche und Ambitionen in dir auf.
Gebildete Menschen leiden unter grenzenlosen Bedürfnissen. Sie können nicht essen, bis ihr Magen voll ist und glücklich dasitzen und schlafen. Nein. Wenn sie essen, reden sie über das Geschäft. Nicht, weil sie sich den Anliegen der Welt angenommen haben, um etwas zu schaffen, etwas aufzubauen, um ihr Leben oder das Leben aller wunderbar zu gestalten. Nein. Sie wollen einfach nur mehr von dem Unsinn tun, den sie tun, weil sehr starke Absichten aufgebaut worden sind, ohne einen bestimmten Zweck. Dies ist ein mächtiges Werkzeug zur Erzeugung von Karma: Absicht. Es ist der Willensakt, der Karma verursacht, nicht die Handlung.
Im karmischen Prozess findet das Auswickeln durch Aktivität statt. Das Einwickeln geschieht aufgrund starker Absichten. Je mehr du an dich selbst denkst, desto stärker werden deine Absichten. Wenn ich von Absichten spreche, spreche ich nicht von großen Absichten – ich spreche von starken Absichten. Wenn du ärgerlich bist, könntest du dich auswickeln, aber du könntest dich auch einwickeln. Du könntest einfach in Wut ausbrechen und dich beruhigen. Oder du kannst in Wut ausbrechen und dann eine Absicht erzeugen: „Weißt du, was ich mit ihr machen will?“ Jetzt wirst du dich im großen Stil einwickeln. Wut ist nur eine Explosion. Wut ist nur das Auswickeln von etwas, das in dir geschehen ist. Wut kann Hass erzeugen. Hass ist eine Absicht. Hass ist Wut, die eine Absicht angenommen hat.
Eifersucht kann ein Auswickeln sein, darüber hinaus können wir sagen, Neid ist eine Absicht – es ist Eifersucht, die eine Absicht angenommen hat. Nun, mit einer gewissen Kaltschnäuzigkeit, selbst wenn du wütend bist, wenn du gar hasserfüllt wirst, zeigst du deine Wut- oder Hassgefühle nicht mehr. Du setzt ein kühles Gesicht auf und machst die hitzigen Sachen, nicht wahr? Lust zum Beispiel ist ein Auswickeln. Leidenschaft ist ein Einwickeln, weil sie eine Absicht ist.
Die so genannten Gebildeten
Wenn du all den Gedanken und Gefühlen, die in deinem Inneren geschehen, Ausdruck verleihen würdest, würdest du beinahe grausam daraus hervorgehen. Um das zu polieren, erzeugst du eine Absicht – das ist Einwickeln. Diese so genannte Kultiviertheit ist Selbstmord, weil du dich ständig schneller einwickelst als du dich auswickelst, weil dein Gemüt doppelzüngig wird. Auf einer Ebene ist es ein Auswickeln, auf einer anderen Ebene hat es seine eigenen Absichten. Du wirst sehen, dass die so genannten gebildeten oder kultivierten Menschen – wenn ich „kultiviert“ sage, meine ich gesellschaftlich kultivierte Menschen, nicht wirklich kultivierte Menschen – immer viel mehr leiden als einfache Leute. Der Zorn, der Hass und die Vorurteile der einfachen Menschen finden offenen Ausdruck. Sie mögen grob aussehen, aber in Bezug auf Gerissenheit liegen sie in vielen Punkten unter den so genannten kultivierten Menschen. Die kultivierteren Menschen lernen zunächst, andere zu täuschen. Nach einiger Zeit werden sie zu Experten, und sie können sogar sich selber täuschen. Ihre Absichten werden nicht einmal ihnen selbst gegenüber offenbar.
Bildung erhöht diese Fähigkeit aufgrund der vielfältigen Exposition, die sie einem bietet, ohne dass man richtig versteht, wie der menschliche Verstand funktioniert, wie er sich entwickelt, was ihn zum Blühen bringen kann, was ihn schmutzig machen kann – diese Dinge werden nicht mit der nötigen Tiefe betrachtet. Informationen werden einfach in allen möglichen Formen an alle möglichen Leute verteilt. Im Allgemeinen nutzen die Menschen also leider die Bildung, um sich selbst einzuwickeln. In Bezug auf die Welt um sie herum, in Bezug auf Informationen, wissen sie vielleicht mehr, aber in Bezug auf den Lebensprozess sind gebildete Menschen im Allgemeinen unwissender als die Analphabeten. Wenn man sich in Indien in das Haus eines einfachen ungebildeten Bauern begibt, ist sein Lebenssinn, sein Körpergefühl, sein Gefühl für seinen physischen Komfort, sein Gefühl dafür, was bei jemandem funktioniert und was nicht, so viel klarer und vernünftiger als das der meisten gebildeten Gesellschaften in der Welt. Weil er nicht so viele verwirrende Gedanken in seinem Kopf hat. Er ist nicht kopflos, wie es einem großen Teil der gebildeten Menschen ergangen ist. Es liegt nicht daran, dass die Bildung selbst der Schuldige ist, sondern daran, dass es keine Leitlinie gibt, wie man sie für das eigene Wohlbefinden nutzen kann. Deshalb hat Bildung, die eigentlich Ermächtigung hätte sein sollen, Bildung, die Klarheit hätte sein sollen, unglücklicherweise mehr Verwirrung über den Lebensprozess an sich geschaffen.
Wach- und Traumzustand also – am besten ist es, wenn du nicht zwischen beiden unterscheidest. Ich möchte, dass du entweder diese beiden Zustände als Traum, oder diese beiden Zustände als unterschiedliche Wachheitsebenen betrachtest. Dies ist eine Art von Traum, das ist ein tieferer Traum. Oder dies ist eine Art von Realität, das ist eine andere Art von Realität. Wenn du es so siehst, kannst du beides zu einem Prozess des Auswickelns statt des Einwickelns machen.