Sind Beziehungen und Spiritualität unvereinbar?
Sadhguru beantwortet eine Frage darüber, warum Beziehungen und spiritueller Fortschritt oft auf Kollisionskurs zu sein scheinen
Fragesteller: Sadhguru, ist es notwendig seine Beziehungen zu verwerfen, um auf dem spirituellen Weg voranzukommen?
Sadhguru: Es gibt keinen Grund, irgendeine Beziehung aufzugeben um voranzukommen. Du musst nur deine gegenwärtige Situation verstehen – nicht die Art und Weise, wie die Welt oder die andere Person es sieht, sondern die Art und Weise, wie es tatsächlich in dir selbst ist. Die Schmerzen und Kämpfe sind individuell, deshalb muss jeder Einzelne sie für sich selbst betrachten.Es geht nicht darum, ob der spirituelle Weg mit Beziehungen kompatibel ist oder nicht, denn es handelt sich um zwei völlig unterschiedliche Dimensionen, die nirgendwo aufeinander treffen. Spiritualität ist etwas, das du in dir selbst tust. Was du nach außen hin tust, ist deine Entscheidung. Ob du in einer Beziehung oder allein leben willst, ob du in der Stadt oder in den Bergen leben willst, ist eine individuelle Entscheidung, die du je nach deinen Vorlieben, Abneigungen und Bedürfnissen treffen musst. Es hat nichts mit dem spirituellen Prozess an sich zu tun.
Welche Art von Beziehung du zu jemandem hast, ist deine persönliche Entscheidung und hängt von deinen Bedürfnissen ab. Du oder jemand anderes seid sie nicht wegen etwas Spirituellem eingegangen. Lasst uns Spiritualität und Beziehungen nicht vermischen, weil man sie nicht vermischen kann – das eine ist innen, das andere außen.
Anforderungen und Erwartungen
Viele Menschen in der Welt, die sich auf einen spirituellen Prozess eingelassen haben, haben ihre Beziehungen aufgegeben – nicht, weil der spirituelle Weg es verlangt, sondern weil sie die Anforderungen der Beziehung nicht ertragen konnten. Der spirituelle Weg verlangt nicht, dass du deine Beziehungen aufgibst, aber Beziehungen verlangen oft, dass du den spirituellen Weg aufgibst. Die Menschen entscheiden sich dafür, entweder dies oder das zu verwerfen.
Leider haben mehr Menschen ihren spirituellen Weg für eine Beziehung aufgegeben, als dass sie die Beziehung für den spirituellen Weg aufgeben. Aber zu keinem Zeitpunkt stehen diese beiden in Konflikt miteinander. Die Beziehung zu jemandem oder etwas steht nicht im Konflikt mit dem, was man in seinem Inneren tut. Nur wenn eine Beziehung von dir verlangt, dass du auf eine bestimmte Art und Weise sein musst, wird sie zu einem Hindernis.
Wir sehen, wie das manchmal vorkommt. Wenn jemand anfängt zu meditieren, ist die Familie zunächst glücklich, weil die Ansprüche der Person abgenommen haben, er oder sie scheint friedlich zu sein und die Dinge besser machen zu können. Aber wenn dieser Mensch tiefer in die Meditation eintaucht, wenn er einfach die Augen schließen und glücklich dasitzen kann, dann fangen die Leute an, Probleme zu bekommen. Wenn dieser Mensch hinter etwas oder jemandem her wäre, wüsste der Ehepartner, wie er damit umgehen kann. Aber wenn man jetzt einfach nur glücklich ist, werden die Leute unsicher. Das ist die Gefahr. Also sagen sie: „Keine Meditation mehr in diesem Haus.“ „Okay, ich werde mich einfach ruhig hinsetzen.“ „Nein. Du musst etwas tun oder mit mir reden oder was auch immer. Kein stilles Rumsitzen.“ Wenn du bei einfachen Dingen, die niemandem schaden, mit Einschränkungen konfrontiert wirst, wirst du dich nach einiger Zeit fragen, warum. Wenn einer dumme Dinge tut, wird es eine Kluft in der Beziehung geben.
Vom Eigeninteresse zur Liebe
Ich unterhalte intensive und engagierte Beziehungen zu Tausenden von Menschen – verschiedene Ebenen und verschiedene Dimensionen von Beziehungen. Mein spiritueller Prozess und meine Beziehungen kollidieren in keiner Weise, weil sie zwei getrennte Lebensbereiche sind. Deine Beziehungen liegen außerhalb. Du musst sie so gut wie möglich handhaben. Dein spiritueller Prozess ist innerlich. Ob dein Partner spirituell wird oder du spirituell wirst, in beiden Fällen sollte es nicht mit der Beziehung kollidieren.
Die eigentliche Sache mit dem spirituellen Prozess ist die, dass wenn man einmal anfängt, etwas in sich selbst zu verkosten, dieses Etwas zum Mittelpunkt des Lebens wird. Aber die meisten Beziehungen sind so angelegt, dass beide Menschen erwarten, dass er oder sie der Lebensmittelpunkt des anderen sein sollte. Deshalb fühlen sie sich bedroht. Die Menschen behaupten, sie glauben an Gott. Wenn man das tut, sollte er dann nicht immer der Mittelpunkt sein? Es geht hier um Unsicherheit, nicht um Beziehungen. Basiert die Beziehung auf Liebe, dann gibt es kein Problem. Wenn die Beziehung auf einem Eigeninteresse beruht, wenn man Menschen festhält, um bestimmte Dinge aus ihnen zu extrahieren, und man plötzlich nicht mehr in der Lage ist, diese Dinge zu bekommen, dann fühlt man sich verärgert.
Andernfalls kann deine Beziehung, sobald du dich auf einem spirituellen Weg befindest, so viel reifer und schöner werden. Du wirst keine dummen Erwartungen an die andere Person haben. Du kannst die andere Person einfach behandeln und ehren wie das Leben selbst. Der ehrfurchtgebietendste Aspekt ist hier das Leben. Warum also nicht eine andere Person als das Leben verehren?