Tod und Spiritualität: Wie das Wissen um die eigene Sterblichkeit die Spiritualität entfacht
Der Tod und der spirituelle Prozess waren schon immer miteinander verbunden. In diesem eindringlichen Artikel von Sadhguru erfährst du, wie uns die Erinnerung an unsere eigene Sterblichkeit auf dem spirituellen Weg voranbringt
Deshalb wird gesagt, dass Shiva sich ständig auf Verbrennungsplätzen aufhielt. Fast jeder Yogi hat zu einem bestimmten Zeitpunkt Zeit auf Verbrennungsplätzen verbracht. Verbrennungsplätze galten als sehr heilig, weil sie einen besonders stark an die eigene Sterblichkeit erinnern. Wenn jemand stirbt, trifft dich die sterbliche Natur deiner Existenz irgendwo in deinem Körper; es ist mehr als nur eine emotionale Reaktion. Selbst wenn es jemand ist, den du nicht kennst, wenn du eine menschliche Gestalt tot daliegen siehst, trifft es dich, nicht wahr? Wenn du ein wenig sensibler bist, trifft dich jede tote Gestalt im Körper, nicht im Kopf. Mental und emotional mag es auch Reaktionen geben, aber das Wichtigste ist, dass der Körper das Leben auf seine eigene Weise aufnimmt.
Der Körper hat ein eigenes Erinnerungsvermögen, das auf seine eigene Art und Weise funktioniert. In diesem Moment regiert dich die Erinnerung, die dein Körper trägt, weit mehr als die Erinnerungen deines Verstandes. Die Erinnerung des Körpers ist weitaus bedeutsamer als die mentale Erinnerung.
Yogis haben sich immer für ein Leben in den Bergen entschieden, weil dort der Körper schlagartig und stark an seine Sterblichkeit erinnert wird – keine mentale oder intellektuelle Erinnerung – sondern eine physische Erinnerung. Der Raum zwischen Leben und Tod ist so hauchdünn. Dieser Raum oder diese Linie wird in den Bergen geschmälert. Das Leben in den Bergen erinnert dich ständig an die vorübergehende Natur deiner Existenz. Wenn du die Sterblichkeit dessen, was du bist, erkennst, wenn du dir ständig bewusst bist, dass du sterben wirst, wenn dein physischer Körper sich bewusst ist, dass er nicht dauerhaft ist, dass er eines Tages in diese Erde eingesaugt werden wird, und das könnte heute sein – jetzt ist deine spirituelle Suche unerschütterlich. Das ist der Grund, warum Yogis die Berge gewählt haben. Sie wollten ständig an ihre Sterblichkeit erinnert werden, damit ihre spirituelle Suche nicht ins Wanken gerät.
Es ist sehr wichtig, dass du ständig daran erinnert wirst, was die Natur deines Körpers ist. Im Moment bist du ein Hügel aus Erde, der herumstolziert. Dieser Körper, um den sich dein ganzes Leben dreht, ist nur ein kleines Stückchen Erde. Wenn die Erde beschließt, dich einzusaugen, wirst du einfach zu einem kleinen Erdhügel.
Yogis wollten diese ständige physische Erinnerung daran, dass man nur Erde ist und sonst nichts; sie wollten in Kontakt mit der Erde sein. Aus diesem Grund haben sie sich immer dafür entschieden, mit der Erde zu sein. Wie kann man von Erde umgeben bleiben? Du könntest ein Loch graben und in einem Brunnen sitzen, aber das ist nicht praktisch. Also gingen sie in die Berge und wählten die natürlichen Löcher, die es dort gab, wo der physische Körper ständig daran erinnert wird, dass die Erde versucht, einen wieder aufzusaugen. Mutter Erde versucht, ihre Leihgabe so schnell wie möglich zurückzubekommen. Dein Kampf ums Überleben ist der Kampf dagegen.
Im Ashram sage ich den Menschen immer, egal welche Arbeit ihr macht, ihr müsst jeden Tag mindestens eine Stunde lang eure Finger in die Erde stecken. Macht etwas mit dem Garten; irgendwo sollten eure Hände schlammig werden. Dies wird eine natürliche physische Erinnerung, eine körperliche Erinnerung in dir aufbauen, dass du sterblich bist; dein Körper wird wissen, dass er nicht dauerhaft ist. Diese Erkenntnis im Körper ist extrem wichtig, damit man seinen Fokus auf seinem spirituellen Streben behält. Je dringlicher die Erkenntnis wird, desto stärker wird der spirituelle Sinn.