Die wahre Bedeutung von Bandhas in der Yoga-Praxis
Sadhguru wirft einen Blick auf die Bedeutung von Bandhas oder Verschlüssen im yogischen System, und wie diese ein Schritt in Richtung totaler Kontrolle über deine Energie sind
Fragesteller: Namaskaram, Sadhguru. Was ist die Bedeutung der Bandhas, die wir am Ende bestimmter Asanas und Kriyas machen?
Sadhguru: Lass uns zuerst allgemein über Bandhas sprechen. Diejenigen, die du machst, sind erste Schritte. Im Grunde geht es bei Bandhas darum, langsam Kontrolle zu erlangen und deine Energien so zu verschließen, wie du es willst. Bandhas werden eingesetzt, um Kontrolle über dein Energiesystem zu erlangen. Zuerst übst du es für einige Zeit körperlich. Wenn du es eines Tages, ohne dein Muskel- oder Skelettsystem zu benutzen, weiterhin tun kannst, dann ist dein Bandha gut. Dann kannst du es verschließen, wo immer du willst, und deine Energien entsprechend deiner gewünschten Handlung lenken. Nach einiger Zeit wirst du nicht einmal darüber nachdenken müssen, es zu verschließen – es wird einfach geschehen. Wenn du eine bestimmte Tätigkeit ausführen willst, wird dein System von selbst auf die Anforderungen zu reagieren beginnen.Ein wichtiger Aspekt des Yoga besteht darin, eine vergleichbare Kontrolle über deinen Energiekörper oder Pranamaya Kosha und den Mentalkörper oder Manomaya Kosha zu erlangen, wie du sie über deinen physischen Körper oder Annamaya Kosha hast. Als ein Experiment kannst du das mit deiner Hand ausprobieren. Zunächst mache physisch eine feste Faust und öffne sie wieder – mache das dreimal. Dann mache dasselbe gedanklich. Du solltest dir der Empfindungen bewusst werden, die bei diesem Vorgang ausgelöst werden. Du weißt nur aufgrund der Empfindungen, die du wahrnimmst, dass deine Faust geschlossen ist – es gibt keine andere Möglichkeit für dich, das zu wissen. Während du dies gedanklich tust, solltest du zumindest bis zu einem gewissen Grad die Empfindungen des Schließens der Faust spüren. Bis zu diesem Grad hast du die Kontrolle über deinen physischen Körper. Yoga bedeutet, dass du einen Zustand erreichen willst, in dem du alle dieser drei Koshas nach Belieben ansteuern kannst. Wenn du wirklich Höchstleistungen erbringen willst, ist es wichtig, dass dein energetischer und dein mentaler Körper dasselbe tun wie dein physischer Körper. Sonst wird es zu Reibung kommen.
Ein reibungsfreies Leben
Wenn dein Annamaya Kosha, Manomaya Kosha und Pranamaya Kosha nicht angemessen ausgerichtet und synchronisiert sind, werden deine Handlungen nicht geschmeidig, leicht und mühelos sein. Es wird eine Menge Anstrengung kosten, einfache Dinge zu tun. Wie viel Schlaf du brauchst, wird durch diese Ausrichtung bestimmt. Wenn du acht Stunden Schlaf benötigst – außer du hast eine außergewöhnliche Menge körperlicher Aktivität erbracht – bedeutet das, dass die drei Arten von Körpern nicht in der passenden Ausrichtung sind. Sie sind in Reibung. Du brauchst so viel Ruhezeit, um all die Reibung zu heilen, die in dir geschehen ist. Wenn diese drei Aspekte gut ausgerichtet sind, wirst du, sogar wenn du körperlich sehr aktiv bist, nur viereinhalb bis fünf Stunden Schlaf brauchen. Wenn du körperlich weniger aktiv bist, wirst du sogar mit weniger auskommen, weil alles in der passenden Ausrichtung ist.
Das ist es, was wir in die Welt bringen wollen – dass die Menschen ihrer Bestform entsprechend tätig sind. Der Wirkungsgrad jeder Maschine hängt im Wesentlichen vom Grad der Reibung in ihr ab. Wenn du die Reibung auf das Minimum reduzierst, wird die Maschine hocheffizient sein. Wenn die Reibung minimal ist, wird sie bei gleicher Leistung viel mehr Arbeit verrichten. Andererseits, wenn es mehr Reibung gibt, ist der innere Verlust höher. Das ist es, was vielen Menschen widerfährt. Wenn du die nötige Wahrnehmung hast, kannst du klar erkennen, welche Körper sich im Einklang befinden und welche nicht. Du solltest in der Lage sein, Menschen, wer sie auch sind, nicht in Bezug auf ihre Körperteile, sondern in Bezug auf die Ausrichtung und Geometrie ihrer Körper zu sehen.
Du wirst sehen, es liegt viel mehr Schönheit in der Geometrie als in der Gestalt und Form des äußeren Körpers. Es gibt viele weit aufregendere Dinge, die in der Geometrie einer Person geschehen. Die Gestalt und Größe des Körpers oder von Körperteilen sind nur aufregend, wenn du mit Hormonen vergiftet bist. Ohne die hormonelle Vergiftung bedeutet es nichts, irgendeine Art von Körper zu betrachten. Wir brauchen sie nicht physisch zu eliminieren, aber du musst sie durch Bewusstheit eliminieren können. Wenn du etwas betrachtest, betrachte es einfach, ohne dich von dem beeinflussen zu lassen, was in dir vorgeht. Lerne alles so zu sehen, wie es ist.
Deine Energien lenken
Das ist wichtig, denn beim Yoga geht es nicht einfach darum, 33 oder 84 Asanas zu lernen – es geht um den Mechanismus des Lebens. Der Mechanismus ist so umfangreich, dass selbst wenn du dich hundert Leben damit beschäftigst, immer noch nicht alles darüber wissen wirst. Niemand kann sagen, er kenne alles davon. Du kennst ihn in dem Maße, wie es für dich relevant ist. Aber wenn du tiefer gehen willst, gibt es noch viel mehr zu entdecken.
Die Bandhas sind eine Dimension des Yoga, in der du, um auf unser Beispiel zurückzukommen, lernst, eine Faust zu halten, ohne den Körper einzusetzen. Zu Beginn setzt du den Körper ein. Aber langsam solltest du an einen Punkt kommen, an dem du, ohne irgendetwas mit deinem Körper zu tun, jeden Verschluss halten kannst, wo immer du willst. Es gibt acht Arten von Verschlüssen, aber üblicherweise lehren wir nur drei, da für die meisten Menschen nur drei relevant sind. Es bedarf einer gewissen Übung, bevor man auf andere Aspekte eingehen kann. Wenn du genügend Bewegung in deinem Energiekörper hast, wenn er geschmeidig genug geworden ist, dann kannst du alle acht Verschlussarten einsetzen, was dir erlauben wird, Dinge zu tun, von denen die meisten anderen Menschen nicht einmal geträumt haben.
Sogar mit den drei grundlegenden Verschlüssen, die du nutzt, wollen wir dich langsam an einen Punkt bringen, an dem du in der Lage bist, sie zu verschließen, ohne das Muskelsystem zu gebrauchen. Versuche das jetzt noch nicht – du würdest deine Zeit und Energie verschwenden. Zuerst musst du die Verschlüsse körperlich perfekt hinbekommen. Falls du es dann wünschst, kannst du an einen Punkt kommen, an dem du ohne dein Muskelsystem zu gebrauchen, jeden Verschluss, den du möchtest, einsetzen kannst. Du kannst einen bestimmten Verschluss einsetzen, so dass die Energie auf die bestimmte Handlung fokussiert wird, die du vornehmen möchtest. Diese Handlung wird wundervoll gelingen, weil deine Energien darauf fokussiert sind und nicht anderweitig verschwendet werden. Bandhas sind also im Grunde deine Fähigkeit, deine Energien zu verschließen und dorthin zu lenken, wo du sie haben willst.
Sagen wir mal, du möchtest sprechen – deine Energie darf dafür nicht überall hinfließen. Wenn du Kontrolle über deine Energie hast, könntest du sie einfach dort halten, wo du sie für eine bestimmte Tätigkeit brauchst. Eine unnötige Bewegung deiner Energie macht dich ineffizient. Wenn du in eine Richtung gehen willst, aber dein Körper geht woanders hin, ist das effizient? Das Gleiche gilt für den Verstand, eine unnötige Bewegung deines Verstandes macht dich ineffizient. Wenn du etwas tun willst, aber mit deinem Kopf woanders bist, kannst du es nicht gut machen. Wenn der physische Körper nicht tut, was du willst, bist du völlig außer Kontrolle. Wenn der mentale Körper nicht tut, was du willst, bist du etwas außer Kontrolle. Je ausgefeilter deine Tätigkeit ist, desto mehr wirst du merken, dass du sie nicht tun kannst, ohne völlig darauf fokussiert zu sein. Yoga ist eine sehr ausgefeilte Aktivität.
Eine Frage der Evolution
Wenn du bedeutsame Handlungen im Leben vollbringen willst, brauchst du nicht nur Stärke, sondern auch die Ausdauer der Stärke, damit deine Stärke fortbestehen kann, ohne dich im Stich zu lassen. Für ausgefeilte Aktivität sollten dein Annamaya Kosha, Manomaya Kosha und Pranamaya Kosha in der Lage sein, so zu handeln, wie du es willst. So wie du deinen Finger bewegen kannst, solltest du in der Lage sein, deinen Energiekörper zu bewegen. Dadurch wird deine Fähigkeit zu handeln stark verbessert. Die Menschen sind momentan ein verkrüppelter Haufen. Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem, was sie sein könnten, und dem, was sie aus sich gemacht haben. Wenn ein Tiger, ein Affe oder irgendein anderes Lebewesen mit all seiner Effizienz geboren wird, warum ist es für den Menschen eine solche Anstrengung? Das ist ein evolutionäres Problem.
Der Unterschied zwischen deiner DNA und der eines Schimpansen ist sehr klein, aber in Bezug auf Bewusstsein, Bewusstheit und Intelligenz liegen Welten dazwischen. Der physische Körper versuchte sich so zu entwickeln, um dieser Bewusstheit und Intelligenz zu entsprechen, aber er ist nicht auf derselben Ebene, weil das menschliche Bewusstsein von anderen Dingen beeinflusst wurde, während der physische Körper ganz und gar das Produkt des Sonnensystems ist, in dem wir leben. Adiyogi sagte vor Tausenden von Jahren, dass sich, solange nicht einige drastische Veränderungen im Sonnensystem geschehen, unser physischer Körper nicht weiterentwickeln kann. Aber wir können ihn zu einer stabilen, ausgewogenen Plattform machen, um sicherzustellen, dass unsere Intelligenz und Bewusstheit nicht verloren gehen.
Von Bandhas zu Glückseligkeit
Eine weitere Dimension der Bandhas ist, dass ein Asana, wenn du für eine bestimmte Zeit darin verweilst, in gewisser Weise ihrer Natur nach zu einem Bandha wird. Du hältst die Haltung, weil du die richtige Geometrie erreichen möchtest, in der Annamaya Kosha, Manomaya Kosha und Pranamaya Kosha aufeinander ausgerichtet sind. Alle drei – der physische, der mentale und der Energiekörper – sind von Natur aus physisch. Du versuchst die Physikalität einzustellen. Was dahinter ist – der Anandamaya Kosha oder Glückseligkeitskörper – braucht keine Justierung, du musst ihn nur erfahren. Aber um darauf zuzugreifen, müssen dein physischer, dein mentaler und dein Energiekörper ausgerichtet sein. In unseren Bhava Spandana Kursprogrammen wirst du eine Menge Menschen in einem Stadium der Glückseligkeit sehen, weil wir eine Situation schaffen, in der wir diese drei in Ausrichtung bringen. Auf einmal wird es eine Explosion von Glückseligkeit in ihnen geben. Aber um sie aufrechtzuerhalten, um sie ständig erleben und abrufen zu können, musst du daran arbeiten, diese drei auszurichten.
Das ist es, worum es beim Hatha Yoga geht. Du erlebst diesen Ausbruch von Glückseligkeit ohne Emotion. Das ist wichtig, denn du kannst deine Emotionen nicht über einen bestimmten Punkt hinaus steigern. Aber du kannst deine Energien weiter steigern. Das Leben ist nicht auf die psychologische Ebene beschränkt. Yoga bedeutet, dass du nicht durch deine Gedanken und Emotionen begrenzt sein möchtest. Du willst nicht, dass dein physischer Körper und deine psychologischen Einschränkungen die Grenzen deines Lebens definieren – du willst über sie hinausgehen.
Die Grenzen überschreiten
Sobald du in der Lage bist, den Energiekörper so wie deinen physischen Körper zu gebrauchen, gibt es keine Grenze mehr. Es gibt eine Grenze für das physische, aber es gibt keine Grenze, was Erfahrung und Erkundung angeht. Das ist es, was ein Yogi versucht durch Bandhas zu erreichen. Du hast vielleicht von Yogis in Indien gehört, die jahrzehntelang ihre Hand hochgehalten haben. Das ist ein Bandha. Nach einiger Zeit wird die Hand ausdörren, weil das Herz kein Blut mehr in den Arm hochpumpen kann. Langsam wird der ganze Arm wie ein trockener Stock, aber er wird ihn nicht herunternehmen, denn die Idee ist, das Bandha zu halten und über die physischen und mentalen Begrenzungen hinauszugehen.
Wenn du die psychischen und physischen Begrenzungen überschreitest, wirst du in einen Raum gelangen, der pure Energie ist. Wenn du hier als ein Stück Energie existierst, das nicht anders ist als der Rest des Universums, wird es zu einer Möglichkeit, eins mit ihm zu werden, es zu erfahren, sich mit ihm zu vermengen und die Schöpfung und den Schöpfer zu kennen. Darauf sind Bandhas ausgerichtet.